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"Lumpazi im Wirtshaus" Wiederaufnahme



Die alte "Gruppe 80" spielt im Gasthaus Lechner Wien - Die zauberhafteste aller Theatertruppen kann man zurzeit in einem Gasthaus im Alsergrund bewundern. Das Lechner in der Wilhelm-Exner-Gasse ist eine treffliche Gaststätte. Die Wirtin stemmt furchtlos Teller und Gläser und trägt ihr Herz am rechten Fleck. Für Schaulustige sei gesagt, dass sich über der Schank eine frappierend vollständige Sammlung von Amtskappeln befindet. Die Stimmung ist sittlich einwandfrei und dennoch gelöst. Im Dunstkreis der gewöhnlichen Zecher aber, zwischen Tischen, Vitrine und Bänken, treiben sich an einzelnen, ziemlich verwunschenen Tagen im Februar drei liederliche Handwerksburschen herum. Knieriem, Zwirn und Leim geben eine abgespeckte Fassung von Nestroys Lumpazivagabundus zum Besten. Schneider Zwirn (Helmut Wiesner), ein weinseliger Frauenfreund, muss sich zweier Riesen erwehren. Tischler Leim (Alfred Schedl) ist ein beinahe so ungeschlachter Geselle wie der weißhaarige Schuster Knieriem (Dieter Hofinger). Berauschende Getränke Alle drei exekutieren Nestroys grandiose Sentenzen mit auftrumpfendem Behagen. Alle drei eint die Liebe zu berauschenden Getränken. Sie alle fürchten auch den Einschlag des Kometen. Es ist alles nur Chimäre, aber eben auch ein kolossaler Spaß. Zusammengefunden hat sich, ausgerechnet im Gasthaus Lechner, die alte Gruppe 80, Helmut Wiesners und Helga Illichs legendäre Mittelbühne aus der Mariahilfer Gumpendorfer Straße. Das Schicksal der drei Deklassierten nimmt bekanntlich durch einen unverhofften Lotteriegewinn eine Wendung ins Kolossale. Kolossal wird man die Szenenwechsel im Lechner nicht nennen dürfen. Die Zuschauer ziehen mit den Schauspielern einfach in die nächsten Gasträume weiter. Wer gute Sicht hat, hat schon ein Glück. Der Wert dieses mit Wienerliedmusik aufgepeppten Abends liegt ohnedies in der bezwingenden Macht der Nostalgie. Erinnert wird, etwa auch durch die Mitwirkung von Illich und Gabriela Hütter, an das verflossene Ingenium der Gruppe 80. Diese behandelte das volksdramatische Erbe im Geiste Nestroys und Raimunds wie Eingebungen des Unbewussten. Man konnte gelegentlich auch in ein wachkomatöses Staunen verfallen. Aber erst im zeitlichen Abstand wird die Schönheit dieses Spuks ganz manifest.

(Ronald Pohl, DER STANDARD, 11.2.2015)


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